„Glückwunsch! Sie haben den Auftrag. Anfangs können wir Ihnen für den Content allerdings nur 0,005 Cent zahlen. Wenn es gut läuft und wir mit den ersten 10 Texten zufrieden sind, verdoppeln wir den Wortpreis!"
Ich rechne kurz nach, kratze mich am Kopf, überprüfe meine Rechnung und komme immer noch auf 1 Cent pro Wort.
Willkommen in der wunderlichen Schattenwelt des Content-Marketings
Im oben beschriebenen Beispiel bestand der Auftrag aus der Erstellung von 10 Ratgeber-Texten mit googlefreundlichen 300-350 Wörtern zum Thema Wanderschuhe inklusive Recherche, Redaktionsplan für die ersten 10 Texte und entsprechenden Keyword-Vorschlägen. Überschrift des Stellengesuchs: Fähiger SEO-Texter gesucht!
Das hatte mich eigentlich schon skeptisch gestimmt. Schließlich weiß doch jeder, dass sogenannte SEO-Texter prinzipiell nach Wortpreisen, die durchschnittlich bei ca. 2,5 Cent liegen, bezahlt werden.
Eine kurze Rechnung, um das besser einordnen zu können:
Runden wir auf 3 Cent auf und gehen davon aus, dass sogenannte SEO-Texter an einem Tag 5 Texte à 300 Wörter aufs digitale Office-Papier zaubern, verdienen sie pro Text 9,00 Euro, pro Tag 45 Euro und kommen auf einen Stundenlohn (8 Arbeitsstunden/Tag) von 5,60 Euro. Schaffen sie 8 Texte pro Tag, liegen sie mit 38 Cent über dem gesetzlichen Mindestlohn. Ich wäre übrigens beim eingangs genannten Auftragsbeispiel auf einen Stundenlohn von 1,68 Euro gekommen. Und da habe ich noch keine Recherche betrieben, geschweige denn einen Redaktionsplan aufgesetzt.
Wie kann so ein Content-Markt überhaupt erst entstehen?
Wie in jedem Markt wird die Preisbildung durch das Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage definiert. Solange das Angebot von potenziellen Auftragnehmern höher ist als die Nachfrage der Auftragsgeber sinken die Preise – offenbar sogar unter 0,01 Cent. Daran sind übrigens sogenannte Content-Plattformen wie textprovider oder content.de, die Texte für entsprechenden Content am Fließband verticken und daher eher für Anfänger und Nebenverdiener interessant sind, nicht ganz unschuldig!
Mimimi, der böse Content-Markt
Ich muss den Markt so akzeptieren wir er ist. Zum Glück muss ich nicht auch jeden noch so billigen Ramschauftrag annehmen. Wer nicht grade als Spiegel-Redakteur oder Creative Director mit dem geschriebenen Wort seinen Lebensunterhalt bestreitet oder einen renommierten Ruf als Konzeptor genießt und unter einem Tagessatz von 600 Euro gar nicht erst aufsteht, der wird immer wieder in die Situation kommen, sich für seine Preise zu rechtfertigen. Denn der Preisverfall im Content-Marketing wirkt sich auch auf andere Disziplinen, die tatsächlich dem klassischem Werbetexter vorgesehen sind, aus.
So habe ich auch schon Anfragen für die Erstellung von Anzeigen- oder Newslettern erhalten, in denen auch explizit nach einem Wortpreis gefragt wurde. Solche Anfragen hinterlassen mich zunächst sprachlos, weil ich nicht weiß, ob sie naiv oder frech-dreist gemeint sind. Wenn ich mich schließlich gefangen habe, muss ich mich nur noch entscheiden, ob ich diesen Angebotssuchenden zurückschreibe oder meine Zeit und Energie lieber auf die Aufgaben von Kunden, die meine Arbeit nicht zuletzt durch faire und angemessene Preise zu schätzen wissen, konzentriere.
Den meisten antworte ich. Dazu gehört zu meiner Arbeit. Und nett bleibe ich dabei auch. Das haben wir Texter so an uns.